Ruhe.
- Daniel
- 8. März
- 4 Min. Lesezeit
Die Suche nach Ruhe in einer lauten Welt: Zwischen Grübeln, Nachdenken und der Kunst der Achtsamkeit.

Kürzlich bin ich über den Satz "...und nun findet er seine letzte Ruhe..." gestolpert. Seine letzte Ruhe finden? Für mich eine ambivalente Fragestellung. Oder ist es gar ein Imperativ? Dieses Satzfragment hat mich veranlasst, gerade in hektischen Zeiten, der Frage nach der Ruhe nachzugehen. Wie finde ich die Ruhe, wenn es draussen lärmt? Worin unterscheidet sich die Ruhe von der Stille? Es ist bemerkenswert, dass ich mit dem Begriff Ruhe als ersten Gedanken das Alleinsein assoziiere. Für mich eine Paradoxie, denn das Alleinsein allein bringt noch keine Stille. Zumindest keine innere. Gerade in stillen Momenten ertönen die inneren Stimmen und stören die Ruhe – oder zumindest beeinflussen sie diese. In einer Welt, in der Aufmerksamkeitsökonomie die oberste Maxime von Techgiganten ist, mag die Ruhe in sich gesehen eine elitäre oder zumindest privilegierte Sehnsucht sein. Ich bin schon mittendrin in der wirren Gedankenwelt. Es zeigt sich gerade dieses ständige Flimmern, in dem wir uns möglicherweise zu oft bewegen.
Zu Beginn erachte ich es als wichtig, den beiden Begrifflichkeiten Grübeln und Nachdenken nachzugehen. Grübeln steht für mich nach endlosen Gedankenwirrungen. Es steht nach der Sinnsuche, dem Hin- und Herwälzen von Gedanken. Es ist die Ambivalenz in sich. Beim Nachdenken hingegen geht es vielmehr um das Suchen nach alltagstauglichen Entscheidungen. Beispiel: Wenn der Zug fahrplanmässig den Bahnhof von Oerlikon nach Zürich Enge um 11:34 Uhr verlässt, dann kann ich zuvor problemlos einen Snack am Kiosk kaufen. Das Nachdenken kann ich abschalten. Das Grübeln hingegen weniger. Vielfach ist es ein fliessender Übergang vom Nachdenken hin zum Grübeln. Beim Grübeln zur Ruhe zu finden, ist eine schier unmachbare Sache. Ich persönlich verliere mich und meinen Geist bei dauernd kreisenden Gedanken. Zur Ruhe im wahrsten Sinne finde ich damit nicht. Gleichzeitig sehne ich mich nach der inneren Ruhe, besonders im Alleinsein. So würde ich das Grübeln zusammenfassen, dass es die Verirrung im Labyrinth des Verstandes ist, die sich in unlösbaren Fragen verliert und in einer Art geistiger Erschöpfung endet. Im Gegensatz dazu kann das Nachdenken als eine Form von Klarheit und Kontrolle gesehen werden, bei der der Geist auf eine Richtung ausgerichtet ist und der Fokus nicht ständig von unscharfen Ängsten oder Zweifeln abgelenkt wird.
„Wenn es draussen ruhig wird, wird es im Innern laut“.
Die Zen-Lehre geht davon aus, dass die Ruhe unser Wesen ist. Um das zu vergegenwärtigen, stell dir einen Raum vor. Sollte es dir einfacher fallen, schliesse dazu deine Augen. Welche Farbe hat dieser Raum? Welchen Duft nimmst du wahr? Bist du alleine in diesem Raum? Gibt es Gegenstände? Licht? Musik? Welche Grösse hat dieser Raum? Wo in diesem Raum befindest du dich? Nun geht es darum, zu erfahren, um wahrzunehmen. Es ist die simple Essenz: Ich bin. Nicht, ich bin einsam. Oder ich bin traurig. Oder ich bin fröhlich. Du bist – oder aus deinem geistigen Auge gesehen ganz schlicht: Ich bin. Diese Haltung mag auf den ersten Blick fremd wirken. Ich persönlich haderte lange an diesem Bild, nicht zu werten und einfach zu sein und wahrzunehmen. Erst später verstand ich, dass es bei der Suche nach Ruhe nicht darum geht, einen lautlosen Zustand zu erlangen, sondern eine innere Stille anzustreben, in der ich die Welt um mich herum wahrnehme. Es ist die Erkenntnis, dass ich aus der verkopften Denkwelt zur gefühlten Erfahrung kommen darf. Die Antwort liegt möglicherweise darin, dass es in der Zen-Lehre nicht um eine Denkweise, sondern um eine Erfahrung geht. Diese Erfahrung führt mich dazu, dass Ruhe nicht nur die Abwesenheit von Lärm oder Aktivität ist, sondern vielmehr eine Art von Präsenz, ein „Sein im Augenblick“. Die Ruhe in der Zen-Praxis ist daher nicht eine blosse Abwesenheit von äusserem Lärm, sondern eine tiefe Öffnung für das Leben selbst. Sie ermöglicht es, die Welt zu erleben, ohne ständig in den Strudel der Gedanken und Bewertungen eingezogen zu werden. Diesen Gedanken möchte ich damit anreichern, dass es sogenannte telische und atelische Aktivitäten gibt. Die Unterscheidung liegt in der Zielfokussierung. So sind telische Aktivitäten solche mit einer Zielorientierung oder -fixierung. Atelische hingegen sind solche, in denen man Dinge um ihrer selbst willen tut. Ich verbinde mit letzteren das Tun einer Sache, in der ich total und vollkommen eintauchen darf. Die unmittelbare Umgebung wirkt dabei als eine Art Kapsel, einer Seifenblase, die jederzeit durch äussere Impulse wie beispielsweise das Telefonklingeln platzen kann. Gleichzeitig ist es ein Wohlfühlraum, eine Kraftquelle und eine Ruheoase. Die Unterscheidung dieser beiden Tätigkeiten erachte ich insofern als relevant, da es der These zustimmt, dass auch im Handeln der Zustand von Ruhe erreicht werden kann. Vielleicht nicht der inneren Stille, zumindest jedoch das Offlinestellen der Gedanken. Um zur Ruhe zu kommen, braucht es Ruhe. So denke ich, dass es wenig sinnvoll ist, eine Meditationsstunde über Mittag in einen vollgepackten Tag zu planen. Die gut gemeinte Meditation verliert den eigentlichen Wert, da sie ein weiteres To-Do auf meiner Liste ist, das abgehakt werden will. Das Leben, wie es oft in Ratgebern aufgezeigt wird, als Aufgabenliste zu organisieren, scheint mir angesichts der Endlichkeit meines Ichs als nicht erstrebenswert. Vielmehr plädiere ich, wie beschrieben, für das Zulassen von atelischen Aktivitäten bei denen kein eigentliches Ziel verfolgt wird und es „kein Ende“ gibt.
Der am Textanfang erwähnte Satz möchte ich mit einem Schlussgedanken nochmals aufnehmen. Die letzte Ruhe finden ist vielleicht zugleich die erste wirkliche Ruhe. Zur Ruhe kommen wir zwar täglich beim Tiefschlaf. Und doch ist der Einschlafprozess von Störungen durchzogen. Dann nämlich, wenn die äussere Hektik des Alltags langsam wegfällt, kommt die innere Hektik auf. Und da möchte ich die Idee der zwei Zeitwahrnehmungen einbringen: die horizontale und die vertikale Zeitwahrnehmung. Die horizontale meint die Stunden, die Tage. Es sind Zeitabstände, die wir bemessen können. Die Agenda ist ein typisches Beispiel dafür. Die vertikale verstehe ich als Vertiefung in der Zeit. Das Eintauchen in Situationen, beispielsweise in einem Gespräch gemeinsam mit einem Freund.
So ist für mich die Ruhe weniger eine Flucht vor der Welt, sondern vielmehr eine Hinwendung zu mir selbst in einer Form der bewussten Wahrnehmung. Der Weg zu innerer Ruhe führt durch das Zulassen von Erfahrungen, die im Moment selbst liegen. Ruhe, so könnte man sagen, ist der Raum, in dem wir vollständig im Leben gegenwärtig sind – unabhängig von der äusseren Welt.
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