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Beziehung.

  • Daniel
  • 6. Juli 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Apr.

Ein Manifest verfassen für die Paarbeziehung wäre zu hoch gegriffen. In diesem Text geht es um die Komplexität von Beziehungsformen in der heutigen Gesellschaft.

Sie nennen es:

Freundschaft-Plus.

Situationship.

Affäre.

Seitensprünge.

On-Off Beziehung.

Offene Beziehung.

LAT-Beziehung.


Und all dies natürlich in english. Weil cool. Also eine Affäre ist eine hookup: "Hey nice, bist du auf der Suche nach einem Hookup?". Mit jemanden unverbindlich die Zeit verbringen, Sex haben, die Zeit geniessen. Das ist heute eine Situationship. Es ist fürchterlich kompliziert geworden. Das Singleleben. Und das Paarleben erst. Singularität - ein weiteres Schlagwort, das dem Zeitgeist entspricht. Hierbei geht es um die Einzigartigkeit. Weg also vom Allgemeinen, vom Standard. Hin zum Individuellen. Sich abheben von der Masse, sozusagen. Und in Beziehungsformen, unabhängig welcher wir uns zugehörig fühlen, ist das Verbindende, das wonach wir streben, die Verbindlichkeit. Vertrauen haben.


Dieser Text soll die neuen Beziehungsformen nicht schlecht reden. Jede und jeder soll das für sich Passende finden, Auswahl gibt es genug. Und klar, unterschiedliche Lebensphasen bedeuten möglicherweise unterschiedliche Bedürfnisse für Beziehungsformen. Ich will nicht das eine gegen das andere ausspielen. Nicht werten. Wir alle sind geprägt durch unser Elternhaus. Moralische Grundsätze werden uns ab Kindesalter mitgegeben, sie prägen unser Leben. Unser Denken. Sie färben vielfach unsere Lebensentwürfe. Unsere Erziehung im Kindesalter kann all dies zu Glaubenssätzen manifestieren. Es entstehen Verhaltensmuster. Oder Muster im Allgemeinen. Treffen wir auf Mitmenschen prallen vielfach unterschiedliche Werte aufeinander. Verhaltensmuster können uns beim Gegenüber irritieren. Müssen wir in Beziehungen unsere Werte nicht immer aufs Neue aushandeln? Wir treten so oft Menschen gegenüber, denken wir dabei nur schon an den beruflichen Kontext. Da braucht es doch das Zuhören, das Beobachten des Gegenübers. Das Beurteilen des Verhaltens, das Abgleichen und Suchen nach gemeinsamen Nennern. Umso mehr in Liebesbeziehungen. Sollten wir nicht uns selbst, besonders in Liebesbeziehungen, nicht zu wichtig nehmen? Ich denke, dass ein wenig Gelassenheit der Beziehung gut täte. Und dabei meine ich nicht, dass wir uns selbst aufgeben. Dinge tun, nur des guten Willens, der Liebe wegen. Eine grosse Portion Reflektionsfähigkeit gehört für mich genauso dazu wie das Aushalten können von anspruchsvollen Situationen. Geben wir nicht allzu oft zu schnell auf? Aushalten können, sich Gedanken machen können, sich in sein Gegenüber versetzen können. Höchstwahrscheinlich sind das Kompetenzen, die wir in unserer schnelllebigen Multi-Optionsgesellschaft verlernt haben. Der Klick und der Griff zum Smartphone zur Flucht, oder weniger dramatisch formuliert, dem Ausweichen eines Beziehungsstreits, ist verlockend nahe.


Zurück zum Textanfang. Was mich umtreibt ist das offensichtliche Dilemma des Erwähnten. Auf der einen Seite steht die Freiheit, die individuellen Bedürfnisse, das ICH, meine Welt, meine Sicht. Dem gegenüber der Wunsch nach tiefer Verbundenheit mit einem Menschen. Vertrauensvoll das Leben geniessen. Sich hingeben können. Sich selbst sein, zusammen mit einem Fremden. Und zum Schluss, die klassisch romantische Kitsch-Vorstellung: Heiraten. Gesellschaftlich wird vor allem das Scheitern in Beziehungen diskutiert. Wir alle kennen die hohe Scheidungsrate. Wir wissen über das wachsende Bedürfnis nach Singlehaushalten. (Hier sei erwähnt, dass mir bewusst und bekannt ist, dass dieses Bedürfnis ein Puzzlestück darstellt und komplex-gesellschaftlich betrachtet werden muss). Und gleichzeitig jubeln wir mit Hochachtung denjenigen zu, die ihre Goldene Hochzeit feiern. Ja, es gibt sie noch. Die Langzeitbeziehung. Und ohne mich allzu romantisch verlieren zu wollen, können wir davon ausgehen, dass jede Beziehungsform vor allem eines bedeutet: Dran bleiben. An den Interessen des Gegenübers. Den Erwartungen des Gegenübers. Den Problemen des Gegenübers. Den Bedürfnissen des Gegenübers. Dem Verfolgen von Lebensvisionen. Den Utopien. Den gemeinsamen Aktivitäten. Dem Freiraum lassen. Es ist gewiss ein Balanceakt. Doch vermute ich, dass wenn ich dranbleibe, zuhöre, beobachte, fühle, mich einfühle, dass ich mich dann meinem Gegenüber als Partner und vor allem als Mensch voll hingeben kann, ohne Wenn und Aber. Die Anzahl an „Ich liebe dich“ spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Vielmehr sind es die kleinen und grossen Handlungen, die die Liebe zeigen. Kleine Aufmerksamkeiten, die den Alltag versüssen. Dem Gegenüber zeigen: Du bist nicht allein. Denn wir alle kennen es. Plötzlich verändern sich Dinge in unserem Leben. Bei der Arbeit. In der eigenen Familie. Im Freundeskreis. Die eigene Gesundheit. Veränderung ist bekanntlich das einzig Stetige in unserem Leben. Äussere Einflüsse lassen sich nicht immer lenken. Und dann heisst es, Prioritäten setzen. All dies kann die Beziehung kurz- und mittelfristig beeinflussen. Manchmal gar belasten. An dieser Stelle möchte ich ein Zitat des Philosophen Heraklit einflechten: Panta rhei. Alles fliesst, nichts bleibt. Übertragen auf die soeben beschriebene Situation bedeutet das für mich: Alles vergeht. Alles geht vorbei. Und gerade in diesen Phasen scheint mir die Aussage an das Gegenüber als zentral: Ich bin für dich da! Für jemanden da sein, bedingungslos und unabhängig der Beziehungsform oder -status, stellt vielleicht sogar den Sinn des Lebens dar.


Wir neigen dazu, dass das Leben perfekt sein muss. Sprich, auch die Beziehung muss perfekt sein. Dem widerspreche ich. Was ist schon perfekt? Betrachten wir es nüchtern und realistischer. Wenn eine Beziehung gut funktioniert, ein Gleichgewicht zwischen den Partnern besteht, keine Übervorteilung des Andern. Wenn eine Grundharmonie, ein Grundvertrauen besteht. Wenn die Beziehung im Fluss ist. Wenn eine Wellenlänge besteht. Wenn eine positive Grundannahme besteht, dass es gut kommt. Ja dann ist doch schon mal ganz viel erreicht. Eine Beziehung muss nicht möglichst "instagramable" sein. Nicht die sozialen Medien, nicht die Familie, nicht der Freundeskreis entscheidet, ob das Gegenüber für die Beziehung passt. Du und ich entscheiden über das Wir. Wir wollen zusammenleben. Wir wollen das Leben gemeinsam gehen. Wir tragen die Verantwortung für das Wir. Dass die Familie und Freunde natürlich eine tragende Rolle spielen ist klar. Sie gehören zum engsten Umfeld. Deren Meinung ist wichtig, dennoch nicht abschliessend. Und so schliesse ich den Text damit ab, dass nicht eines der ganz zu Beginn erwähnten Label für eine Beziehung relevant ist, sondern wie so oft, deren Inhalt. Ist es nicht beruhigend, dass in den hoch technologisierten Zeiten, in denen Bots und künstliche Intelligenz unser Leben bereichern, der Mensch mit seinem Herz und seinem Verstand eine Beziehung prägt?

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