Einsam.
- Daniel
- 27. Okt. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2023
Eine Gesellschaft, die zu vereinsamen droht. Ein Tabuthema, das generationenübergreifend grassiert und zu oft mit Scham verbunden ist. Wenn alleine sein zur Zerreissprobe wird und was wir gemeinsam tun können.

Dieser Text ruhte sehr lange im Entwurfordner. Einerseits weil das Befassen mit diesem Thema für mich persönlich anspruchsvoll war, gar traurig machte. Anderseits weil es ein Tabuthema ist und doch knapp 40% der Schweizer Bevölkerung betrifft (Quelle: BFS). Einsamkeit und alleine sein sind zu unterscheiden. Sich bewusst eine soziale Auszeit nehmen, Zeit für sich schenken, ist für Menschen in stabilen Verhältnissen und einer hohen Resilienz eine bewusste Steuerung der eigenen sozialen Bedürfnissen. Einsamkeit hingegen bezeichnet eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen. Einsamkeit nimmt im Alter entgegen der viel verbreiteten allgemeinen Meinung ab. So sind rund 48% der Schweizer Bevölkerung im Alter zwischen 15 bis 24 Jahren von Einsamkeit oder vom Gefühl des Einsamseins betroffen und 32% der über 65-Jährigen. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass nicht ausschliesslich Social Media der Treiber von Einsamkeit bei Jugendlichen ist. Vielmehr die Phase des Umbruchs, dem Einstieg in die Berufswelt, der Wegzug von zu Hause und dem sich verändernden Freundeskreis sind mögliche Gründe.
"Nimm dir Zeit für deine Freunde, sonst nimmt dir die Zeit deine Freunde". André Brie
Nun mögen Zahlen, Daten und Fakten einen Hinweis darauf geben, dass wir tendenziell in einer immer einsameren Gesellschaft leben. Doch was macht dieses Gefühl von Einsamkeit mit dir? Was macht es mit mir? Um diesem Thema mehr Platz zu schaffen, möchte ich diesen Blogbeitrag nutzen, beispielhaft zu beschreiben, was Einsamkeit mit einer Person macht. Dies zur besseren Veranschaulichung anhand eines konkreten Falls, einer Person. Nennen wir ihn Jonas. Jonas ist heute 32 Jahre alt, wohnt in einer Wohngemeinschaft, ist voll berufstätig, engagiert sich ausserberuflich und schätzt sich als glücklichen Menschen ein. Dies war jedoch nicht immer so. Denn Jonas ist zudem schwul. Sein Schwulsein war zu Beginn der Outingphase der Treiber in die Einsamkeit. Freunde wandten sich ab. Seine Lehre in der Gastronomie und die damit verbundenen unregelmässigen Arbeitszeiten erschwerten den Kontakt zusätzlich zum bisherigen Freundeskreis. Der Prozess zum Selbständigwerden, dem Abnabeln vom Elternhaus stärkten wohl sehr die persönliche Entwicklung. Eingetrichterte Leitsätze wie "Nur Leistung zählt" und "Streng dich an!" führten dazu, immer eine Höchstleistung zu erbringen. Im Beruf. In der Schule. Zeit für Freundschaftspflege blieb wenig. Insbesondere in einer für Jonas noch unbekannten Welt, der queeren Szene. Jonas kapselte sich zunehmend ab. Begab sich in eine eigene Bubble. War völlig fokussiert auf die Ausbildung. Verkrampft. Der Erwartungsdruck des Umfelds führte manchmal gar zum verbissenen, versessenen, bedingungslosen Leisten. Jonas fühlte sich zunehmend unwohl. Erschöpft. In Zeiten des Nichtstun fehlte die nötige Schulter zum Anlehnen. Ein offenes Ohr, um die Sorgen und Ängste zu teilen. Jonas spürte viel Traurigkeit. Weinerlich. Zweifel an sich selbst machten sich breit. Jonas war alleine. Einsam. Eine Reise alleine nach Stockholm war paradoxerweise der erste Schritt aus der Einsamkeit heraus. Neugierig. Alleine sich zurechtfinden. Leute nach dem Weg fragen. In Cafés gehen und mit Fremden in Gespräche kommen. All dies bedurfte Mut, Überwindung. Es war jedoch diese Unbekümmertheit der Menschen vor Ort. Niemand wusste wer Jonas ist. Niemand kannte seine Gefühlswelt. Wahrgenommen werden und Aufmerksamkeit zu bekommen waren Balsam für Jonas' Seele. Euphorisch. Jonas lernte viel über sich selbst. Er reflektierte. Er versuchte zu verstehen, was wichtig im Leben ist. Jonas versuchte sich selbst mehr zu akzeptieren wie er ist, was er ist. Selbstfreundschaftlich. Jonas öffnete sich. Er begab sich auf Partys. Unbekanntes. Er knüpfte Freundschaften. Er lebte seine Jugend. Sünden?. Ihm wurde ebenso schlagartig bewusst, dass ein stabiler Freundes- und Familienkreis wichtig ist. Passend dazu meinte André Brie (deutscher Politiker und Aphoristiker) "Nimm dir Zeit für deine Freunde, sonst nimmt dir die Zeit deine Freunde".
Ähnliche Geschichten oder Phasen wie diejenigen von Jonas kennen wir wohl alle. Für Jonas war diese Phase eine entscheidende für sein Leben. Einsam sein war ein Gefühl, das ihn zermürbte. Er schämte sich. Dass Jonas heute so lebt wie er lebt ist sicherlich auch damit verbunden, welche Lehren er aus dieser Phase gezogen hat. So wie Jonas geht es Vielen. Schauen wir hin. Hören wir zu. Fragen wir nach. "Wie geht es dir?" soll keine Floskel sein, sondern ein zutiefst innerliches Bekenntnis und Interesse des und ans Gegenüber, mich bedingungslos zu öffnen.
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