Gratwanderung.
- Daniel
- 12. Juni 2023
- 3 Min. Lesezeit
Könnte nicht die Nüchternheit in Sachdiskussionen die nötige Gelassenheit bringen, dass wir als Gesellschaft auf der Gratwanderung zwischen subjektivem Empfinden und Objektivem wieder vermehrt zueinander finden? Einen Konsens finden?

"Es muss einfach mal gesagt werden!". "Was raus muss, muss raus". So oder so ähnliche Kommentare höre ich beispielsweise in kurzen Social Media Posts. Oder ich lese sie zwischen den Zeilen auf Kommentarseiten oder Lesebriefen. In einem ähnlichen Blogbeitrag thematisierte ich bereits das Dilemma, dass wir als Gesellschaft die Diskursfähigkeit am Verlieren sind. Vieles ist oder wird polarisiert. Worte und Sätze werden beim Gegenüber im Munde herumgedreht, sodass die gegenteilige Meinung als kurios gilt. Nicht nachvollziehbar. In sich unlogisch, gar widersprüchlich. Zu beobachten ist dieses Phänomen in Diskussionssendungen kurz vor eidgenössischen Abstimmungen. Auch am 18. Juni stehen drei eidgenössische Abstimmungen an. Bereits im Vorfeld wurde vor allem über das Klimaschutzgesetz medial stark berichtet. Eigens wurden sogenannte Battles zwischen zwei Pol-Positionen ausgerichtet. Hinter solchen Veranstaltungen steht wohl vor allem eines: Aufmerksamkeit für das Medienhaus selbst. Eine fundierte Auseinandersetzung findet kaum statt. Schlagworte werden mantraartig wiederholt. Dem Gegenüber wird Wortbruch vorgeworfen. Die Diskussion wird emotional und weniger nüchtern, sachlich geführt. Eigentlich schade. Ich gestehe, dass ich nüchterne Sachdiskussionen bevorzuge. Besonders in solchen, in denen die Sachlichkeit dienlich ist. Eine einstündige, wohl überlegte und sorgfältig ausgewählte Gesprächsrunde behagt mir mehr als eine 20-minütige Wortschlacht um den Wähler:inwillens. Lauert denn nicht die Gefahr, dass wir als Gesellschaft die Diskursfähigkeit verlieren? Sollten wir nicht besser erkennen, dass es richtige und falsche Argumente nicht gibt, sondern nur logisch korrekte und nicht korrekte? Dies setzt voraus, dass wir Argumente vermehrt wieder analysieren - Weniger auf deren Richtigkeit, sondern vermehrt auf deren Logik. Basis bildet dabei die Annahme, dass Argumente aus mindestens einer, meist mehreren Prämissen und einer Konklusion bestehen. Die Konklusion ist dabei die Aussage, die begründet werden soll. Die Prämissen sind die Aussagen, auf die sich die Begründung stützt. Was komplex klingt verhindert jedoch ein Ping-Pong von unterschiedlichen Positionen. Auf ein Argument folgt ein Gegenargument, welches durch ein neues gekontert wird. In der Philosophie nennt man dies "die dialektische Grundstruktur von argumentativen Gesprächen". Kurz: Thesen werden durch Argumente gestützt und mit Argumenten angegriffen. Längst ist dies in Diskussionen nicht immer möglich. Daher verspreche ich mir mehr davon, dass die Haltung von Diskutanten die ist, dass Argumente zumindest klar und logisch hergeleitet werden. Nicht: Wenn... dann... Sondern: Da... und... weil... Deshalb...
Mir ist bewusst, dass Gespräche und Diskussionen mit unterschiedlicher Denkhaltung für alle Beteiligten anspruchsvoll sind. Das subjektive Empfinden für ein Anliegen spielt dabei immer mit. Es ist die eingangs erwähnte Gratwanderung, Emotionen zuzulassen, sich einzugestehen und dennoch weitgehendst aussen vor zulassen. Wir stehen vor grossen Herausforderungen in unserer Gesellschaft. Es mag sein, dass es das Böse und das Gute gibt. Doch ist es immer die Frage nach der Perspektive. Und der eigenen Betroffenheit. Dennoch steht für mich die Haltung, das Menschenbild an erster Stelle. Wie stehe ich grundsätzlich zu jemanden oder zu etwas? Was ist meine zutiefst innere Überzeugung? Was glaube ich? Wie stehe ich zu mir selbst? Und meinem Gegenüber? Ich tue mich schwer, diesen Text zu verfassen. Wohl auch deshalb, weil wir offensichtlich individuell besorgt sind. Die Besorgnis schwappt manchmal in Angst über. Vermeintlich einfache Lösungen versprechen die rasche Erlösung. Darüber bin ich besorgt. Besorgt über die Diskursfähigkeit. Über die gegenseitige Toleranz. Über das gegenseitige Verständnis und Zuhören. Als Individuum mag ich aufgewühlt sein. Aufgewühlt ab jenen Krisen nah und fern. Ab dem Leid in unserer Welt. Ja, es ist eine Gratwanderung, um Gehörtes und Gesagtes mit dem eigenen Empfinden und wissenschaftlichen Fakten zu einem grossen Ganzen zusammen zu bringen. Welche Schlüsse, also welche Konklusion wir wohl daraus ziehen werden? Ich wünsche mir vor allem eines: Die Rückbesinnung der Fürsorglichkeit gegenüber einem selbst, dem Gegenüber und der Natur.
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