Haben Bewerbungsschreiben und Arbeitszeugnisse ausgedient?
- Daniel
- 29. Dez. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Jan. 2022
Wieso wir unseren Mindset nun endlich ändern sollten, damit wir die "richtigen" Menschen auf die richtige Position bringen und entwickeln können.

Zugegebenermassen kein Thema, über das nicht schon unzählige Male nachgedacht und geschrieben wurde. Hier ein Versuch, das Thema nicht aus dem Blickwinkel zu verlieren und ein Plädoyer, Networking als Kompetenz zu betrachten.
Der Mehrwert eines Bewerbungsschreiben liegt darin, dass Recruiter zusätzliche Informationen zum Bewerber*in erhalten. Die Praxis zeigt aber, dass dies selten der Fall ist. Meistens wiederholt sich im Bewerbungsschreiben das was im CV (Lebenslauf) ohnehin schon steht. Und kommt hinzu, dass meist Standardfloskeln verwendet werden. Der Mehrwert, der ein effektives Bewerbungsschreiben bieten könnte, bleibt somit in den meisten Fällen aus. In einer Studie, die in Deutschland durch den Personaldienstleister Robert Half durchgeführt wurde (2019), gaben 48% der Recruiter an, dass das Bewerbungsschreiben nicht aussagekräftig ist. Hinzu kommt, dass Vermischen mit dem Motivationsschreiben. Inhaltlich sollte im Motivationsschreiben beschrieben werden, welche persönliche Ziele man verfolgt und was die genaue Motivation ist, mit der man sich auf diese Stelle bewirbt. Es wird auf bestimmte Teile der Persönlichkeit eingegangen und argumentiert, weshalb man sich für diese Position geeignet fühlt. Es fasst somit die Stärken und die sogenannten Soft Skills zusammen. Im Bewerbungsschreiben hingegen wird einen Bezug zur Vakanz hergestellt. Es können Erfahrungen und besondere Kenntnisse hervorgehoben werden. Werden ein Bewerbungs- und / oder Motivationsschreiben einer Bewerbung beigelegt, die inhaltlich diesen Leitlinien folgen, ergibt sich für ein Recruiter einen wahren Mehrwert.
Rund ein Drittel aller offenen Stellen werden "unter der Hand" vergeben. Vitamin B und somit ein solides Netzwerk sind wichtiger den je.
Nun zum ersten Teil der Ausgangsfrage, weshalb ich der Meinung bin, dass Bewerbungsschreiben ausgedient haben. Wenn wir wissen, dass laut einer Erhebung der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich im 2017 rund 30% der offenen Stellen im sogenannten verdeckten Arbeitsmarkt vergeben werden, lohnt es sich mehr Zeit in eine gute und solide Netzwerkpflege zu investieren. Die Studie wurde im 2017 verfasst, ich denke, dass der Anteil an offenen Stellen im verdeckten Arbeitsmarkt zwischenzeitlich sicherlich weiter gestiegen ist. Networking ist eine Kompetenz, die einer hohen Bedeutung zukommt. Wer dies im beruflichen Kontext noch nicht anwendet, sollte sich spätestens jetzt damit auseinander setzen. Good News für alldiejenigen, die einen gewissen Respekt davor haben: Networking kann erlernt werden. Mehr dazu findest du in einem vorherigen Blogartikel.
Zurück zum Bewerbungsschreiben. Ich erlebe gerade in Bewerbungen von Jugendlichen für eine Lehrstelle, dass Bewerbungsschreiben mit grosser Sorgfalt verfasst werden. Man spürt, dass viel Zeit in die saubere Gestaltung, Grammatik und Rechtschreibung investiert wurde. Auf der inhaltlichen Ebene sind viele Schreiben inhaltsleer und mit Floskeln versehen, die keine wirkliche Aussage zur bewerbenden Person machen. Mich dünkt dies enorm schade. Insbesondere bei Jugendlichen, die als eine der wenigen Überzeugungsmerkmalen ihre Persönlichkeit hervorheben können. Denn ihr CV ist sowieso ziemlich überschaubar und sagt nicht wirklich viel aus. An Veranstaltungen plädiere ich vehement dafür, dass gerade in Bewerbungen von Jugendlichen der Fokus auf ein inhaltlich aussagekräftiges Schreiben gelegt werden soll. Bestenfalls natürlich werden neue Medien eingesetzt. Beispielsweise ein Bewerbungsvideo oder eine persönliche Website (so wie es bereits viele Bewerbende für Mediamatik-Lehrstellen umsetzen). Das Ziel ist: Bitte auffallen! Unternehmen bewegen sich glücklicherweise auch schon sehr stark. Dann sollten dies auch Jugendliche. Jugendliche benötigen hier aber eine gute Begleitung und viel Information. Ich bin mir nicht sicher, wer Informationsgeber*in ist. Denn wenn ich schaue was für Bewerbungen ich erhalte, dann sind die vom Umfang her immer noch genau gleich wie meine Lehrstellenbewerbung vor über 15 Jahren.
Zum zweiten Teil der Ausgangsfrage, weshalb Arbeitszeugnisse ausgedient haben. Fakt ist, dass mit dem aktuellen Arbeitsrecht (Art. 330a, OR), jede*r Mitarbeiter*in ein Anrecht auf ein Zeugnis hat, dass sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie Leistung und Verhalten ausspricht. Inhaltlich ist dabei darauf zu achten, dass das Zeugnis der Vollständigkeit entspricht, wahrheitsgetreue Aussagen macht, wohlwollend formuliert - jedoch ohne die Wahrheitspflicht zu verletzen - und sprachlich korrekt (klar, verständlich und korrekte Rechtschreibung) verfasst wird. Darf ein Arbeitszeugnis ausgestellt werden, bei dem Mitarbeiter*in und Führungskraft eine positive Ausgangslage haben, so scheint es einfach, ein Arbeitszeugnis nach den gesetzlichen Vorgaben zu verfassen. In den meisten Situationen ist dies aus meiner Erfahrung auch der Fall. In anderen Fällen, in denen das Verhältnis angespannter ist oder war, kann es zu verschwurbelten Formulierungen kommen. Mit besten Wissen und Gewissen wird ein Arbeitszeugnis erstellt, das formell alles beinhaltet. Doch merkt man schnell, dass dadurch die darin enthaltenen Informationen in den Arbeitszeugnissen aufgrund gesetzlicher Regeln häufig unzuverlässig und unbrauchbar sind. Kommt es im Worst Case zu einer gerichtlichen Situation, dann verliert das Zeugnis noch stärker die Aussagekraft. Formulierungen wirken stumpf und Satzstellungen abgehakt. Aus persönlicher Erfahrung weiss ich, dass man als HRler lieber gewisse Themen weglässt. Die Frage stellt sich grundsätzlich, ob wir nicht einen gelassener Umgang mit Arbeitszeugnissen finden sollten. Zumal in internationalen Bewerbungen darauf kaum eine derartige Wichtigkeit gelegt wird wie in der Schweiz. Abschliessend: Unabhängig ob man aufgrund einer positiven oder negativen Situation ein Arbeitszeugnis verfasst, das Zeugnis ist codiert und verliert öfters die Aussagekraft. Denn auch in der positiven Situation wird möglicherweise viel "Blumiges" erwähnt.
Was nun? Ein aktuelles und professionelles Profil auf Business-Netzwerken wie LinkedIn ist das A und O. Kontakte und Beziehungen sollten dann auch regelmässig und gut gepflegt werden. Ein immer-parater CV sollte zudem griffbereit sein, als Ergänzung zum LinkedIn Profil, insbesondere dann, wenn im CV detailliertere Angaben zum Aufgabenbereich gemacht werden. Ich empfehle daher immer, dass in diese zwei Bereiche (LinkedIn Profil und CV) die Zeit investiert wird. Das Bewerbungs- bzw. Motivationsschreiben nur dann einreichen, wenn es einen wirklichen Mehrwert bietet und beim Umgang mit Arbeitszeugnissen gelassener werden. Denk daran: Persönliche Empfehlungen sind so oder so meist verlässlicher.
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