Jetzt.
- Daniel
- 20. Sept. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. März 2024
Zukunftsfragen wie "Was wäre wenn?" oder in Zukunftsszenarien zu denken kann sinnvoll, manchmal auch anstrengend sein. Weshalb ich dafür plädiere im gerade stattfindenden Moment zu leben und wie sich das auf unser Leben auswirkt.

Dieser eine Moment. Jetzt. Also genau dieser Augenblick jetzt, wenn du dieses Wort liest, ist einzigartig. Die vorherige Sekunde lässt sich so nicht mehr wiederholen. Sie ist bereits wieder Vergangenheit. Der Augenblick vergeht. Er ist vergänglich. Momente in Sekunden zu denken ist möglicherweise radikal. Ausgeweitet auf Stunden oder Tage jedoch sehr plausibel. Wir leben im Hier und Jetzt. Seneca (römischer Dichter und Philosoph) meinte knapp und auf den Punkt gebracht: "In drei Zeiträume gliedert sich das Leben: was war, was ist, was sein wird. Davon ist der Zeitraum, in dem wir handeln können, kurz, was wir in der Zukunft tun werden, ist ungewiss, nur was wir getan haben, steht fest". Dieses Zitat oder dieser Denkansatz lässt Demut zu. Etwas demütig sollten wir uns dessen bewusst sein, dass wir in einem endlichen System leben. Unser Wirken und Handeln in der Gegenwart, sei es nun diese eine Sekunde, oder verallgemeinert gesprochen, dieser eine Augenblick, hinterlässt in der Vergangenheit Spuren. Die Ausrichtung unseres Denkens ist daher unabdingbar. Leben wir im Hier und Jetzt oder in der Vergangenheit oder doch in der Zukunft? Was davon ist gesund? Dabei geht es nicht darum, die Vergangenheit gegen die Gegenwart oder der Zukunft auszuspielen. Die Vergangenheit ist hilfreich um aus gemachten Erfahrungen zu lernen. Abzuleiten, wie wir in einer ähnlichen Situation agieren könnten. Natürlich setzt dies die Kompetenz voraus, dass erlebte Momente reflektiert und die für sich richtigen Schlüsse gezogen werden. Ein Verbeissen oder Ausharren in der Vergangenheit steht jedoch in keinem Verhältnis zum Jetzt, zur Gegenwart.
"Ohne Heute gäbe es morgen kein Gestern".
Ausschliesslich in der Gegenwart zu leben, wird mantraartig auf vielen Kanälen durch unterschiedliche mehr oder weniger kompetente Personen propagiert. Persönlich bin ich auch der Ansicht, dass eine gewisse Gelassenheit gegenüber der Zukunft vorhanden sein sollte. Wie oben erwähnt braucht es auch die Vergangenheit, um einen Erfahrungsrucksack zu sammeln. Auf rein persönlicher Ebene darf es gerne sentimental werden. Manchmal gar dürfen wir der Nostalgie verfallen. Denken wir doch nur zurück an unseren ersten Schultag. Den ersten Kuss. An das erste Mal. Der Einzug in die erste eigene Wohnung. Die erste Beziehung. Der erste "Absturz" im Ausgang. Das bewusste Zurückblicken in seine Vergangenheit bringt daher in vielerlei Hinsicht eine gewisse Sentimentalität, Freude, Frust oder Glück mit sich. Den einen Moment, in dem wir irgend eine Sache zum ersten Mal machen, trifft jede:n irgendwann. Auch heute noch. Und das heutige erste Mal wird in zehn Jahren rückblickend ebenfalls wieder Emotionen auslösen. Wir brauchen also das Jetzt um in der Zukunft auf die Vergangenheit zurückzublicken. Die Frage dabei ist und bleibt darin bestehen, was wir daraus für Rückschlüsse ziehen. Ein Leben ausschliesslich mit Zukunftssorgen oder in der Gedankenwelt ans Vergangene ist meiner Ansicht nach auf Dauer ungesund. Gedanken um verpasste Gelegenheiten oder über negativ empfundene Situationen kann belastend wirken. Daher plädiere ich auf eine verstärkte Fokussierung auf das jetzt Stattfindende. Es soll mit allen Sinnen aufgesogen werden. Mit voller Hingabe. Ohne Wenn und Aber. Immer darauf bedacht, dass dieser eine Moment so ganz einzigartig ist. Wenn ich das so schreibe, möchte ich es nicht auslassen, einen kurzen Seitenhieb auf die Smartphone- und Selfie-Gesellschaft zu schlagen. Lassen wir das Smartphone doch getrost mal bewusst offline. Lassen wir unser Leben offline geniessen. Geniessen wir den Moment analog und nicht digital.
Kritisch könnte nun eingebracht werden, dass das im Moment-leben das eigene Leben in den Mittelpunkt stellt. Fast schon egoistisch. Wenig solidarisch also. Um das geht es nicht. In der Welt passiert aktuell so viel. Das soll und muss berücksichtigt und mit der nötigen Beachtung in unserem Leben einen angemessenen Platz einnehmen. Es sind nicht ausschliesslich Ich-Momente. Ich-Momente meinen Augenblicke der inneren Ruhe. Dem Abstreifen von Alltagssorgen. Dem Innehalten und Geniessen. Dem Krafttanken für das Kommende. Zusammenfassend entspricht dies der dänischen Lebenseinstellung Hygge. Da wir soziale Wesen sind, können die oben erwähnten Momente auch solche der Interaktion mit Mitmenschen sein. Vermissen wir in solchen Situationen nicht manchmal die bedingungslose Hingabe des Gegenübers? Ich meine schon.
Zum Abschluss möchte ich eine auf die Spitze getriebene und gleichermassen humoristische Geschichte des deutschen Autors Horst Evers aus "Mein Leben als Suchmaschine" teilen. Diese spielt in einer Bäckerei, in der ein Mann die Bäckerei-Fachverkäuferin einem ernstzunehmenden Test unterzieht:
- Guten Tag, ich möchte gerne für morgen ein Brot von gestern vorbestellen.
- Sie wollen was?
- Ein Brot von gestern vorbestellen. Für morgen.
- Das geht nicht. Das morgige Brot von gestern ist ja heute schon da. Das kann man nicht mehr vorbestellen.
- Aber morgen kostet das Brot von heute, weil’s von gestern ist, doch nur noch die Hälfte. - Ja.
- Na und das will ich.
- Aber das geht nicht. Heute gibt es noch kein Brot, das morgen von gestern ist.
- Ja, aber da hinten liegt es doch.
- Was?
- Na, das Brot, das morgen von gestern ist. Da hinten.
- Ja, aber das ist doch von heute.
- Eben, deshalb will ich’s vorbestellen. Dann kostet’s ja nur die Hälfte.
- Ja, ja, aber das geht nicht. Man kann Brot von gestern nicht vorbestellen. Wie stellen Sie sich das denn vor? Wenn das alle machen würden. Wo sollte ich denn das ganze Brot lagern? Den Platz hab ich hier gar nicht.
- Der Lagerplatz ist das Problem?
- Ja, genau. Ich brauch doch morgen den Platz für das Brot von morgen.
- Na ja, wenn das das ganze Problem ist, bestell ich eben jetzt für morgen ein Brot von gestern, aber nehm’s heute schon mit.
Die Verkäuferin starrt ihn an. Dann starrt sie auf die Schlange, die mittlerweile bis fast auf den Bürgersteig angewachsen ist. Mit leeren Augen packt sie das Brot ein, kassiert den halben Preis und schaut zum nächsten Kunde.
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