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Leerblick.

  • Daniel
  • 24. Jan. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Wer bin ich? Dieser Beitrag erzählt die Geschichte von Jonas und geht der Frage zu seiner Identität nach. Er versucht zu erzählen, wie Jonas an seine Grenze kommt.


Es roch nach gebratenen Kartoffeln, in Zwiebeln und einer halben Knoblauchzehe gedünstet. Die Kochutensilien sind längst abgewaschen und säuberlich am richtigen Ort verstaut. Das Essen mundete. Ein letzter, kritischer Blick zurück auf die Ablagefläche und Jonas löschte das Wandlicht in der Küche. Er trank den letzten Schluck Wasser und stellte das Glas in die Abwaschmaschine. Programmierte den Start für in einer Stunde. Blickte hinaus und fühlte sich verloren. Gedankenverloren. Er entschied wie so oft in solchen Situationen, ins Bad zu gehen. Der Duft nach gebratenen Kartoffeln folgte ihm unaufdringlich und hüllte nicht weniger unaufhaltsam das Badezimmer mit dem Essensgeruch. Dort vermischten sich die beiden Duftwolken, die des Kochens sowie dem bekannten und gleichermassen Wärme ausstrahlenden, samtig-herzlichen Duft des Badezimmers. Am Morgen erst reinigte Jonas das Bad. Dazu gehörte auch, dass die Duftstäbchen gewendet werden. Dies macht er immer so. Und so überwog bald der Geschmack von frisch gereinigter Keramik und den frisch gewendeten Duftstäbchen.


Jonas betätigte von den beiden zur Verfügung stehenden Lichtschaltertasten die linke. Die rechte würde ein wärmeres Licht erzeugen. Heute war es ihm nicht danach. Durch das mit der linken Taste betätigte Licht ertönt das leise Surren der am Badezimmerspiegel integrierten Leuchte. Matt-weiss erhellte das Licht das Bad. Die sonst in sandig warmen, durchaus schlichten Farben gehaltenen und liebevoll arrangierten Badezimmer Accessoires und Badetücher verloren durch die Lichtintensität den Charme. Zugleich schluckte die schwere Frottierwäsche die Geräuschkulisse auf und wirkte wie ein Schallschutz. Der Ort empfand Jonas als wohlig. Die Zeit schien stehenzubleiben. Jonas bewegte sich vorsichtig und bedacht bis zum Badezimmerspiegel. Platzierte sich direkt davor. Lehnte an das vorstehende Lavabo. Der Wasserhahn strahlte, als schien er sich über die am Morgen stattgefundene Entkalkung zu freuen. Hinter ihm die Duschkabine und in der Diagonalen die Badewanne mit ihrer beharrlich und andächtig, flackernden Elektrokerze am Badewanne Rand. Durch den Blick in den Spiegel erhaschte Jonas das gleichmässige, schwermütige Blinken des Wäschetrockners, das ihn an die Wäsche erinnerte, die er am Morgen noch mit dem Hinweis er dürfe dies nicht vergessen in den Trockner legte. Er beschloss, dies für den Moment nicht weiter zu beachten. Zu intensiv empfand er seine gedankenlose Situation. Der Ort erinnerte Jonas plötzlich an eine Gebärmutter. Zugegeben ein Vergleich, der ihn überraschte. Einem Gedankenblitz entnahm er seiner Erinnerung das Bild eines Kunstwerkes, das die Assoziation durchaus zuliess. Beim Kunstwerk handelt es sich um das "hole in home" aus dem Jahre 1966 welches von Ferdinand Spindel stammt. Eine übergrosse Höhle aus rosafarbenem Schaumstoff.


Nun stand er da. Blickte in den Spiegel. "Wer ist Jonas?" fragte er sich selbst, ohne auch nur einen geringsten Laut von sich zu geben. Er fixierte sein rechtes Auge. Betrachtete die dünnen Äderchen darin. Die Pupille schien ihm dunkelmatt entgegen. Er erkannte darin sein Gesicht. Und darin wiederum die Pupille, die sein Gesicht spiegelte. Die Pupille verkleinerte sich und er meinte zu sehen, dass die Iris ihrem ursprünglichem vom altgriechisch stammenden Wort aller Ehre erbrachte, während sie die Farben des Regenbogens in langsamen Übergängen änderte. Der Rest des Körpers war rein physisch anwesend, doch Jonas spürte ein Entgleiten von Seele und Körper. Aus einem Impuls folgend führte er seine rechte Hand quer über seinen Körper an seine linke Gesichtshälfte. Sie fühlte sich rau an und stumpf. Weder warm noch kalt. Jedoch nicht unangenehm. Als ob jemand Drittes die Bewegung ausführte. Halluzinierte Jonas? Sein Blick wanderte zur Stirn, dem Scheitel zur rechten. Dann entlang der Haarlinie zum Ohr. Ihm fielen die winzigen Härchen auf. Jonas fuhr seine visuelle Reise in seinem gespiegelten Gesicht fort und endete am Ausgangspunkt seiner Gesichtsbetrachtung: Der rechten Iris. "Wer ist Jonas?" hauchte er heiser in sein Spiegelbild. Sein Vis-a-Vis antworte nicht, im Gegenteil. Jonas meinte ein fades Lächeln zu erkennen. Er schloss die Augen und spürte in sich hinein. "Wer ist Jonas?". Eine sanfte Träne tanzte mal schnell, mal langsam über die rechte Wange. Sie entzweite am Mundwinkel und tropfte zu Boden. Er erinnerte sich an das Sprichwort wonach das Weinen die Augen reinigt und danach den Blick klarer macht. Ein Bild, das ihm zu gefallen schien. Jonas öffnete die Augenlider. Sein Blick geht tief in die Augen hinein. Er durchbrach die Hornhaut, die vordere Augenkammer, hindurch zur Pupille und Linse. In seiner Nase kitzelte der Duft von Zedernholz, Fichtennadeln und Patchouli. Jonas erinnerte sich daran, dass der Raum durch die Duftstäbchen mit würziger Luft und den Aromen von den genannten und vielen weiteren Kräutern gefüllt sein müsste. Neue Energie und eine Ode an die Kraft der Natur versprach nämlich die Beschreibung des Duftes auf der Verpackung. Die Magie der reinen, rauen Natur, wenn man der weiteren Beschreibung glauben mochte. Jonas atmete tief ein. Er stellte sich vor, die Luft sei warm. Beim Einatmen schloss Jonas sanft die Augen und achtete darauf, wie die durch Kräuter durchdrängte Luft wie in Strömen zuerst das Gesicht, den Oberkörper und schlussendlich seinen gesamten Körper durchdrangen. Die Vorstellung, dass sein Inneres durch die Aromen belebt und aktiviert wird, stimmte ihn heiter. "Eine Art Reinigung von Innen" scherzte er beim langsamen Öffnen der Augenlider und schmunzelte sein Spiegelbild an. "Wer ist Jonas?". Das gespiegelte Ebenbild kannte keine Antwort. Auch Jonas selbst nicht. Das Gesicht im Spiegel regte sich nicht und blieb stumm. Er beschloss das Buch von Martin Suter "Die dunkle Seite des Mondes" zur Hand zu nehmen. Ein Roman der das Unmögliche möglich zu machen scheint. Die Geschichte handelt von Urs Blank, einem Starwirtschaftsanwalt, der in einem Trip mit halluzinogenen Pilzen experimentiert, was zu einer gefährlichen Persönlichkeitsveränderung führt, aus der ihn niemand zurückzuholen vermag. Möglicherweise die beste Entscheidung für Jonas in seiner Verfassung.



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