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Scham.

  • Daniel
  • 11. Okt. 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Gut gemeinte Absichten kollidieren mit Gewohntem. Was davon übrig bleibt ist das Gefühl von Überheblichkeit und Gut-Menschentum. Ein Versuch, zu relativieren und Alltagsgelüste lockerer zu sehen.

Heutzutage scheint es, dass kaum etwas richtig gemacht werden kann. Strenge gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen kreuzen unseren Alltag. Egal ob im Restaurant ein Essen bestellen. Exotische Früchte einkaufen. Bei der individuellen Mobilität. Fleischkonsum. Reisen in ferne Länder. Onlineshopping. Der Besitz von Haustieren. Und gar das Kinderkriegen. In all diesen Bereichen kann Man(n) und Frau in schier endlose Fettnäpfchen treten. Denn jede Handlung, noch so kleine, werden bewertet. In den vergangenen Monaten und Jahren setzte sich eine neue Rhetorik in den gesellschaftlichen Alltag durch: Flugscham. Reisescham. Konsumscham. Gewohnte Alltagshandlungen sind aufgrund vermeintlich richtigen und moralischen Grundvorstellungen zum Spiessrutenlauf geworden. Ich handle, also schäme ich mich. Dieser Satz ist abgeleitet von René Descartes, ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Er meinte indes: Ich denke, also bin ich. Und er versteht damit nicht weniger als einen Grundsatz, der ein nicht kritisierbares Fundament darstellt. Als radikaler Zweifler war sein Grundgedanke, dass praktisch Alles bezweifelt werden kann: Die Existenz anderer geistlicher Wesen, dass Menschen Körper haben, selbst die Klugheit von Philosophen. Aber man kann nicht bezweifeln, dass es ein "Ich" gibt, das zweifelt. Wo besteht nun eine Schnittmenge zwischen Zweifeln und Schämen? Ich denke, im bewussten Handeln von gesellschaftlich moralisch kritischen Tätigkeiten, die den eigenen moralischen Spielregeln widersprechen. Heisst übersetzt: Ich fülle meinen privaten Schwimmpool in einer Hitzeperiode und bei Wasserknappheit nicht mit Frischwasser auf. Randbemerkung: Ich selbst besitze keinen Pool. Das Beispiel dient zur besseren Veranschaulichung meiner obigen These.


Nun mögen einige das Argument einbringen, dass die Eigenverantwortung, insbesondere in einer direktdemokratischen Gesellschaft, wie der unsrigen, das höchste Gut darstellt. Um beim obigen Beispiel des Schwimmpools zu bleiben, könnte argumentiert werden, dass es in meiner Verantwortung liegt, ob ich nun den Pool mit Frischwasser fülle. Doch Eigenverantwortung heisst nicht, eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Eigenverantwortung heisst viel mehr, sich solidarisch zu zeigen. Haltung zu zeigen. Stellung zu beziehen. Sich an die eigene Nase fassen. Nicht das eine tun und das andere nicht lassen. Ansonsten besteht die Gefahr einer Streberkonkurrenz der Besserwisser, wie es auch der Autor Werner Bartens in meiner Lieblingslektüre der Sonntagszeitung ausgiebig beschreibt. Er führt weiter aus, dass damit der moralische Vorgarten hübsch sauber bleibt, solange andere belehrt werden können. Ein Belehren von anderen birgt das Risiko, dass das Gegenüber trotzig reagiert in der Haltung "jetzt-erst-recht". Fleischkonsum reduzieren? Nein danke - Jetzt erst recht ein T-Bone Steak. Inklusive Sprache nutzen? Nein danke - Jetzt erst recht nicht gendern. Trotzhaltungen führen zu Verkeilungen in der Gesellschaft. Wie bereits in anderen Beiträgen erwähnt, verlieren wir so als Gesellschaft die Diskursfähigkeit. Ein Richtig und Falsch gibt es in einer vielfältigen Gesellschaft nicht. Das Aushandeln von gesellschaftlichen Moralvorstellungen ist relevant, um gemeinsam und solidarisch möglichst sozial-ökonomische "richtige" Handlungen zu vollziehen. Zurück zur Eigenverantwortung. Diese meint nicht weniger, als die Bereitschaft und die Pflicht für das eigene Handeln und das Unterlassen von Handlungen, Verantwortung zu übernehmen. In der politischen Diskussion vermischt sich die Begrifflichkeit stark mit dem der Freiheit. Wir leben in einem freiheitlichen Land. Dennoch ist dies kein Freipass, um persönliche Handlungen diesen freiheitlichen Gedanken zu unterwerfen. Auch ein freies Land untersteht einer Moral, einer ethischen und rechtlichen Grundlage sowie einer solidarischen Verpflichtung gegenüber unseren Erdbewohnern. Insbesondere gilt dies noch mehr aus einer privilegierten Stellung heraus.

"Vom Saulus zum Paulus"

Ich selbst hatte das Bedürfnis, die Welt zu einem besseren Ort zu gestalten. Natürlich ist das Verbessern zurückzuführen auf eine subjektive Sichtweise. Meine aus meiner Sicht richtigen Lebensweise wollte ich im privaten Umfeld teilen. Kontroverse Diskussionen waren vorprogrammiert. Nebst dem, dass endlose Diskussionen ermüdend, manchmal auch langweilig werden und wie oben erwähnt zu einer Trotzhaltung führen können, setzte ich meine Energie fortan in mein eigenes Handeln. Persönliche Handlungen, die der eigenen Moralvorstellung widersprachen, wurden angepasst. Festgehalten in einer Art persönlichem Leitbild des eigenen Tuns. Entstanden sind Rahmenbedingungen und Ziele, die dazu animieren, dass aus meiner Sicht "Richtige" zu tun. Oder anders ausgedrückt, ein bewussteres Leben zu führen. Und damit möchte ich den Kreis dieses Textes schliessen und auf die anfangs erwähnte Scham zurückkommen. Ich handle, also schäme ich mich gibt es nicht mehr. Durch das Bewusstwerden der eigenen Möglichkeiten, um möglichst positive Fussabrücke der Erinnerungen zu hinterlassen, entstand ein Gefühl der solidarischen, natürlichen Eigenverantwortung. Es ist ein Beitrag, man möge sagen ein kleiner Beitrag, doch dies würde die Wichtigkeit des Themas herabsetzen, eines achtsameren Lebens. In erster Linie für mich selbst, doch auch für das Umfeld und die Umwelt. Verzicht spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Es ist ein Experimentieren, ein Entdecken von Alternativen. Achtsamkeit entwickeln kann auch heissen, die kindliche Naivität wieder zu entdecken, in dem Gewohntes so betrachtet wird, wie wenn wir dies zum ersten Mal täten. Somit stehen das eigene Tun und das bewusste Nicht-Handeln an erster Stelle. Ich sehe mich damit vor allem in der Rolle des Inspirators. Handle so nach meinen Prinzipien und überlasse die moralische Bewertung meinem Gegenüber. Die Eigenverantwortung endet damit, dass ich mich soweit möglich dafür einsetze, dass in Diskussionen alternative Lebensgestaltungen aufgezeigt und Argumente sachlich und korrekt ausgetauscht werden können. Dass die Emotionalität nicht zwangsläufig aussen vorgelassen werden kann, lässt sich wohl damit begründen, dass mir die wohl grösste Krise aus Sicht des Planeten Erde und dessen Erderhitzung nicht kalt lässt.


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