Übergänge.
- Daniel
- 17. Aug. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Jan.
Vom einen ins andere und wieder zurück. Das Leben hält viele Veränderungen bereit. Veränderungen als Phase von Übergängen zu betrachten, ist vielleicht eine wichtige Betrachtungsweise. Was aber spielt die Zeit dabei für eine Rolle?

Wir erleben immer mal wieder Veränderungen. Ein Jobwechsel. Eine neue Partnerin. Eine andere Wohnumgebung. Die Veränderung ist bekanntlich das einzig Stetige in unserem Leben. Die Welt ist im Wandel. Mit ihr die Gesellschaft. Die Arbeitswelt. Und das ICH. Ich persönlich spüre die Veränderung besonders beim Nachdenken über die Jahrzehnte. Jedes Jahrzehnt hält Besonderes bereit. In der Zeit zwischen dem 10. bis 20igsten Altersjahr waren ganz andere Bedürfnisse wichtig als zwischen dem 20. bis 30igsten Altersjahr. Und mit dem Übertritt ins neue Jahrzehnt, ich bin nun Mittdreissiger, werden wieder neue Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse wichtiger. Das Nachdenken über die Zeit und den Übergängen beschäftigt mich. Es treibt mich um. In diesem Text versuche ich, die losen Gedanken zu sortieren und zu teilen.
"Wenn mich niemand darüber fragt, so weiss ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiss ich es nicht." Aurelius Augustinus
Einst sass ich im Gottesdienst am Silvesterabend. Die Zeit zwischen den Jahren war schon fast vorbei. Die Zeit also zwischen Weihnachten und Silvester. Ich hatte das Bedürfnis den Jahresabschluss bedächtig, ruhe- und friedvoll zu begehen. Die Predigt handelte denn auch vom Beenden und Neubeginn. Vom Gewesenen und Ungewissen. Bekanntes und Unbekanntes. Kurz: es ging um Übergänge. Ich beschäftige mich wie erwähnt gerne mit der Zeit. Vor allem in philosophischer Hinsicht. Vielfach verzweifle ich an den Zeitgedanken und der Frage, was Zeit ist. Die Zeit lässt sich in die Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft einteilen. Doch nichts ist die Wirklichkeit. Die Zeit kann nicht real sein. Schauen wir uns die Vergangenheit an. Sie ist nicht mehr Wirklichkeit. Die Zeit ist bereits vergangen. Genauso mit der Zukunft. Wir kennen die Zukunft nicht, sie ist nicht die Wirklichkeit. Sie existiert noch nicht. Und die Gegenwart? Naja, sie ist immer gleich wieder vergangen. Wir verpassen die Gegenwart. Der Moment der Gegenwart ist fast immer vorbei, wenn wir daran denken. Es kann eigentlich die Zeit gar nicht geben, weil wir sie nicht besitzen können. Die Aussage "Ich habe keine Zeit" ist so gar nicht möglich. Der Philosoph Aurelius Augustinus antwortet auf die Frage, was Zeit ist, wie folgt: "Wenn mich niemand darüber fragt, so weiss ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiss ich es nicht." Er meint zudem, dass die Zeit eine subjektive Wahrnehmung ist. Dass die Zeit in unserem Geist, unserer Seele entsteht. Der Gedanke meint, dass wir die Gegenwart ausdehnen. Dass wir etwas aus dem Vergangenen in den jetzigen Moment holen. Ich vergleiche diesen Gedanken gerne mit einem Orchester. Wir hören den gespielten Ton. Dieser hallt nach. Wir nehmen ihn aus der Vergangenheit mit und erahnen den neuen Ton. Es entsteht eine persönliche Melodie aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Also eine subjektive Wahrnehmung des Jetzt. So sind es im Kleinen die Übergänge, die wir zu einem speziellen Moment werden lassen. Die Übergänge aus dem Vergangenen, dem Gewesenen in das Jetzt hinein. Trotzdem scheitern wir vielfach am Zeitparadox. Erspart das Verfassen einer E-Mail im Gegensatz eines handschriftlichen Briefs viel Zeit, so steht uns mit diesem technologischen Fortschritt nicht mehr Zeit zur Verfügung. Nun finde ich keine abschliessende Erklärung, was die Zeit ist. Und auch der Roman "Die Zeit, Die Zeit." von Martin Suter erschwert das Finden einer Antwort. Insbesondere weil die zwei Hauptprotagonisten nicht zwingend über die Abschaffung der Zeit philosophieren, aber zumindest an deren Überlistung. Es ist der alte Knupp, eine der beiden Romanfiguren, der das Unmögliche möglich machen möchte. Er meint, dass nicht die Zeit vergeht, sondern alles andere. Die Natur. Die Materie. Die Menschheit. Aber niemals die Zeit. Die Zeit gibt es nicht. Es sei die Veränderung, die die Illusion von Zeit schafft.
In der Predigt verglich die Pfarrerin die in etwas grösseren Abständen stattfindenden Übergange mit einer Bergwanderung. Wie wir diese gestalten wollen, hängt von vielen Mini-Entscheidungen ab. Beim Loslaufen haben wir eine gewisse Vorstellung, wie, wohin und in welcher Geschwindigkeit wir marschieren wollen. Wir machen uns Gedanken über mögliche Risiken, über Stolpersteine. Es gibt geschmeidige Wegestücke, bedeckt mit Wildblumen. Ein fröhlicher Anblick. Bei der Wanderung gelangen wir gelegentlich an Weggabelungen. Wie und weshalb wir uns für die eine und nicht die andere Seite entscheiden, hängt von unseren Erfahrungen ab. Vielleicht gelangen wir auf der weiteren Wanderung an Schluchten. An tiefe Abgründe. Wir müssen uns fokussieren und vorsichtig die Stelle passieren. Möglicherweise kreuzen sich auf der Wanderung die Wege und wir begegnen neuen Weggefährten. Bis wir das Ziel erreicht haben, können Stunden vergehen. Nun, wann ist man angekommen? Woran messen wir das? Woran erkennen wir das Angekommen sein? Bei den Übergängen streifen wir einen Teil des Vergangenen ab. Anderes wiederum nehmen wir mit. Gerade in der Zeit zwischen den Jahren können wir für uns selbst definieren, welche Spuren der Erinnerung wir hinterlassen wollen. Die am Textanfang erwähnten Jahrzehnte und deren Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnissen spielen dabei eine zentrale Rolle. Heute stelle ich mir andere Fragen an das Leben als noch vor zehn Jahren. Und gerade jetzt mit anfangs 30ig befinde ich mich in einem Übergang vom bisherigen Jahrzehnt in ein neues. Auch hier ist die Einteilung der Zeit relevant. Und genauso dehnt sich das Jetzt, nicht wie vorhin erwähnt in einige Sekunden, sondern in diesem Fall, in mehrere Jahre. Im Übergang ins aktuelle Jahrzehnt nehme ich bisherige Erfahrungen mit. Es waren lehrreiche Jahre. Und ja, ich weiss möglicherweise besser, wie ich mein Leben und meine Zukunft gestalten möchte. Der Übergang ist vielleicht fast eine Selbstfindungsphase. Und diese Phase ist sicherlich stark beeinflusst von äusseren Faktoren. Von der sich wandelnden Welt.
„Ich glaube an ein Leben vor dem Tod.“ Chris von Rohr
Zum Schluss ein letztes Gedankenexperiment. Dass wir in einem endlichen System leben, nun, das ist Fakt. Die Sterblichkeit unsereins kann beängstigen. Die Zeit, sofern sie existiert, vergeht. Durch die Zeit wissen wir, dass unser Leben vorbei geht. Wenn wir uns nun gedanklich vorstellen würden, dass wir den genauen Zeitpunkt unseres Ablebens kennen, wie agieren wir? Wie gestalten wir unser Leben? Denn es müsste in dieser Logik so sein, dass wir für die Zeit zwischen der Geburt und dem Todestag unsterblich sind. Wir könnten also viel freier und zugleich risikoreicher unser Leben gestalten. Auch da stellt sich die Frage nach den Übergängen. Vielfach berichten Personen, dass ihnen nicht der Tod an sich Angst bereitet, sondern das Sterben. Der Übergang also vom Leben zum Tod. Müssten wir vielleicht lernen zu sterben, damit wir lernen zu leben?
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