(Un-)cool.
- Daniel
- 13. Juni 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Jan.
Hip. Cool. Trendy. Alles über Coolsein und wenn selbst das Coolsein uncool wird. Ein Versuch die Oberflächlichkeit des Seins einzuordnen. Und was das Coolsein mit uns macht. Ganz nebenbei: einen natürlich, coolen Text verfassen.

Irgendwie leben wir ja schon in komischen Zeiten. Man isst nur noch in dieser einen Gelateria ein Eis, in der das Ambiente möglichst "instagramable" ist. Also an jenem Ort, der ausreichend attraktiv genug ist, um ein Foto zu schiessen, es anschliessend auf Social Media (meist Instagram) hochzuladen und auf möglichst viele Likes zu hoffen. Es sind meist Orte, die dazumal als Geheimtipp und dadurch als cool galten. Cool, weil ich das typische Start-up mässige Ambiente spürte. Angestellte, die mit Fleiss, Herz, Ehrgeiz und viel Liebe fürs Detail das Produkt an Mann und Frau bringen. Die sich Zeit nehmen, um den Prozess von der Idee, über den ersten Prototyp bis hin zum fertigen Produkt ins kleinste Detail zu beschreiben. Und auch beim hundertsten Mal keine Emotionen und keine Anekdote auslassen. Es ist dieses innere Feuer, das lebhaft und leidenschaftlich nach Aussen getragen wird. Ich gehe fortan in dieses eine Geschäft, nur weil es das Produkt ausschliesslich dort zu erwerben gibt. Ich nimm einen extra Umweg in Kauf, um ein für mein Verständnis extravagantes Mitbringsel für den bevorstehenden Familienbesuch zu besorgen. Doch dann plötzlich wird das Produkt oder der Brand gehypt. Ein Post auf Social Media eines Influencers mit der Überschrift "Geheimtipp" und der Geheimtipp ist gar nicht mehr so geheim wie er sein sollte. Was einerseits gut für das Geschäft ist, ist anderseits auch irgendwie schlecht fürs Geschäft. Klar, der Brand geniesst nun ein hohes Ansehen. Das Produkt wird massentauglich. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein voller Erfolg. Ich kann das ökonomische Bestreben nach Mehr total gut verstehen. Anderseits wünschte ich mir wohl insgeheim, dass das Produkt weiterhin eine Nische bleibt. Klein und härzig. Halt eben ein Geheimtipp. Und daher cool. Es stellt sich mir die Frage, welchen "Wert" nun das Produkt hat. Werttechnisch in dem Sinne, dass ich nicht nur das Produkt sondern eben auch das ganze Drumherum, also das Emotionale, einkaufe. Was nun alle cool finden, darf es dann noch als cool bezeichnet werden - insbesondere, wenn man den Brand seit den Anfängen an begleitet?
Ein kleiner Exkurs: Spannend dünkt mich der Gedanke, dass wir einzigartig sein wollen und dennoch alle dem Einen nachrennen, was alle anderen auch machen. Bezeichnend hierfür ist die Szene aus "Life of Brian" aus dem Jahr 1979, in der Brian der Menschenmenge zuruft: "You're all individuals!" und die Menge erwidert: "Yes, we're all individuals!". Diese Szene in den heutigen Kontext interpretiert bzw. projeziert folgt einer ganz eigenen Ironie und Komik. Sie umschreibt jedoch genau das, was ich versuche zu beschreiben. Wir alle wollen cool also individuell sein. Und doch machen wir alle das Selbe. Streben wir alle nach Individualität, nach Aufmerksamkeit und nach Coolsein verlieren wir gleichzeitig den tieferen Sinn davon, da die Mehrheit dann doch aus dieser einen Mücke einen Mainstream macht. Verliert dann das Coole nicht seine Coolness?
Wie sich die Coolness meines Lieblingsquartiers in Zürich verändert hat, möchte ich nun noch zum Abschluss schildern. Was früher als cool galt ist heute ein anderes Cool. Nicht weniger cool als dazumal, doch die Nuancen des Verständnisses oder der Definition von Coolness sind dennoch erkennbar. Alles begann mit der Gentrifizierung. Gentrifizierung meint das Verändern in bestimmten Stadtteilen oder Stadtquartieren. Vereinfacht oder etwas pointiert gesagt ist es das Wegdrängen von einkommensschwächeren Haushalten durch wohlhabendere Haushalte. Zu beobachten ist diese Veränderung beispielsweise im Zürcher Stadtkreis 4 und 5. Einst Arbeiter- und Industriequartier ist es heute eine beliebte Ausgangsmeile und Anziehungspunkt für Kreativschaffende und allerlei geschäftstüchtigen Leuten. Angefangen hat dieser Veränderungsprozess vor rund zwanig Jahren, als mit der Initiative "Langstrasse plus" dunkle Ecken, Dreck, Drogen und Kriminalität unteranderem der millionenteuren Europaallee weichen mussten. Eine nachhaltig hohe Lebensqualität stand im Zentrum der Initiative. Wo einst mehrheitlich Personen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status arbeiteten und lebten, stehen heute fast schon penibel herausgeputzte Wohn- und Gewerbehäuser. Das "dreckige" Züri-West wurde weiter an den Stadtrand in Richtung Altstetten hinausgeschoben. Doch auch dort sind Gentrifizierungsprozesse zu beobachten. In Zeiten, in denen ich im Kreis 5 zur Berufsfachschule ging, sind mir immer noch sehr präsent. Es war dieses Unbeschwerte, Fröhliche und Bodenständige. Leben und leben lassen war das Motto. Der etwas verruchte Umgang hatte was. Ich liebte das nicht-bürgerliche an diesem Quartier. Ich liebte das lockere, nicht verklemmte Ambiente in den verschiedenen Bars und Restaurants. Ich fühlte mich cool. Cool, weil ich dort war, wo es allgemein als gefährlich galt. Auch, weil sich Rockerbanden dort aufhielten und geschäfteten. Mit zunehmender Gentrifizierung verlor Züri-West den "Dreck". Immer mehr Hosenanzug-Träger:innen begegneten uns in den Restaurants, in den Parks oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Irgendwie war es dadurch nur noch halb so cool wie zuvor. Zumal "diese von Ausserhalb" auch das Gefühl vermittelten, sie seien nun cool. Hip. Dazugehörig. Doch, das war nicht so. Zumindest nicht für uns. Das Verruchte verlor ironischerweise je länger desto mehr den Glanz, weil Gebäude saniert und damit Mietpreise erhöht wurden. Kleinere Läden zog es weg, neue kamen hinzu. Heute befinden sich ebenso viele kleinere Läden im Quartier. Das heutige Verständnis von cool ist, dass weiterhin Jede und Jeder sich verwirklichen kann. Züri-West kann. Es kann dir ein Grosstadtgefühl in der kleinsten Grosstadt der Welt geben. Es kann Lebensqualität in Form von spannenden Gastronomiekonzepten und Grünanlagen bieten. Es kann dir Anonymität und zugleich nachbarschaftliche Sicherheit bieten. Es kann Handwerk und Kunst (an-)bieten. Es kann noch ganz viel mehr. Daher ist Züri-West für mich weiterhin cool. Und ich fühle mich mit dem parallel verstrichenen Gentrifizierungs- und Lebensalterungs-Prozess immer noch cool. Denn: Lässig zur Arbeit schlendern, wo andere zum nächsten Gleis huschen. In dieser leicht-überschätzten Leichtigkeit den Mittag dort verbringen, wo andere einfach mal so sind. Ganz cool sich mit Freunden zum Apéro vereinbaren und mit der leicht-überheblichen Art meinen, dass ich ja eh nicht lange zum vereinbarten Treffpunkt hätte, da ich ja schon dort bin - dort bin, wo all die Coolen eben auch sind: In Züri-West.
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